„Nicht gegeneinander, sondern miteinander spielen“

22.07.2019

Porträtfoto
Murali Perumal | Foto: Patrick Ranz

Ein Gespräch mit dem Schauspieler Murali Perumal über die Marginalisierung nicht-weißer Schauspieler*innen auf deutschen Bühnen und in der Filmbranche.

Von: Tunay Önder

Immer noch sind Menschen mit bestimmter Hautfarbe oder ethnischen Merkmalen am Theater oder im Filmbereich unterrepräsentiert. Aktivist*innen verweisen seit Jahren auf diskriminierende Strukturen und machen rassistische Vorfälle publik, wie es zuletzt die Schauspielerin Maya Alban-Zapata tat. Gleichzeitig wird die strukturelle Ausgrenzung oft beschwichtigt oder gar geleugnet. Diese Erfahrung veranlasste den Schauspieler Murali Perumal im Jahr 2013 dazu, sich in einem offenen Brief in der Süddeutschen Zeitung zu Wort zu melden. Seither hat die öffentliche Kritik an den Missständen immer weitere Kreise gezogen und ist mitunter Anlass dafür, dass sich immer mehr Theaterhäuser und Filmproduktionen bemühen, ihre Castings, Rollen und Ensemble zu diversifizieren. Doch ändert sich durch die Öffnungsprozesse tatsächlich etwas? Oder bleiben die Rollenklischees trotzdem bestehen?

Seit einigen Jahren wird in den USA unter dem Hashtag #Oscarssowhite zurecht die Dominanz weißer Schauspieler*innen unter den Nominierten in Hollywood kritisiert. Lässt sich diese Kritik auf Deutschland übertragen?

Ganz und gar. In Deutschland gehören Schwarze oder Schauspieler*innen mit Migrationsgeschichte definitiv zu den Marginalisierten. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein nicht-Weißer für den deutschen Filmpreis nominiert worden ist. Das höchste der Gefühle war der türkeistämmige Schauspieler Birol Ünel. Das war vor über zehn Jahren, und Sibel Kekilli. Allerdings war die Rollenbesetzung ziemlich klischeehaft: Sie, die unterdrückte türkische Frau oder Fremde. Er, der kaputte Drogenabhängige. In anderen Rollen kann die Filmindustrie sich türkeistämmige Schauspieler*innen offensichtlich nicht vorstellen. Es bessert sich aber. Man sieht dies an Schauspielern wie Elyas M'Barek oder Fahri Yardım, wunderbare Kollegen, bei denen die Filmemacher*innen mittlerweile begriffen haben, dass ihr Migrationshintergrund nicht abschreckt, sondern Zuschauer*innen bringt. Das wäre früher undenkbar gewesen. Elyas M'Barek erzählte in einem Interview, dass ihm zu Beginn seiner Karriere allen Ernstes angeraten wurde, sich einen deutsch klingenden Namen zuzulegen.

Sind solche Erfolgsgeschichten nur Ausnahmen oder ändert sich allmählich etwas?

In den vergangenen fünf Jahren hat sich tatsächlich viel getan. Zu den wenigen italienischen und kroatischen Kolleg*innen kamen türkischen dazu: Hilmi Sözer, Tayfun Bademsoy, Mehmet Kurtuluş, Tim Seyfi. Es gibt immer mehr Kolleginnen und Kollegen verschiedenster Herkunft und Aussehens, die immer mehr Rollen kriegen, im Fernsehbereich wohlgemerkt. Sie spielen zwar immer noch oft genug den Gemüsehändler, die Putzfrau und den Kriminellen, aber auch häufiger in Polizeiteams wie zum Beispiel im Tatort. Fahri Yardım hat seit 2013 eine feste Serienrolle im Tatort und spielt den Hauptkommissar Yalcin Gümer. Auch Tayfun Bademsoy hat – neben seinen vielen anderen Klischeerollen, die ihm angeboten wurden – im Tatort gespielt. Und Sibel Kekilli darf sogar eine deutsche Kommissarin darstellen. Da haben sich die Redaktionen der Fernsehsender durchaus geöffnet.

Im Kino greift man aber immer noch nach altbewährten Mustern oder ist es Zufall, dass Schauspieler wie Elyas M'Barek in einer Rolle als türkischer Macho („Türkisch für Anfänger“) oder Fahri Yardım mit einem Kinofilm über Dorgenkriminalität (Chicko) bekannt geworden sind?

Ja, bei fiktionalen Formaten, in Spiel- und Kinofilmen, ist die Situation schwierig, gerade wenn es um die Hauptrollen geht. Wenn die Hauptrollen nicht mit weißen Schauspieler*innen besetzt werden, dann handelt es sich meistens um Filme über Migration. Das wäre ja auch ok, wenn sie nicht nur darauf reduziert würden, immerzu Migrant*innen zu spielen. Zum einen schränkt das ihren Einsatzbereich extrem ein. Zum anderen entspricht es auch gar nicht der realen Erfahrungswelt dieser Schauspieler*innen, die in Deutschland geboren sind und deren Lebenswelt sich in vielerlei Hinsicht kaum von der einer Hanna, Maria, Uwe oder Till unterscheidet.

Dabei gilt die Filmindustrie doch eher als weltoffenes und unkonventionelles Arbeitsfeld. Es wirkt paradox, dass die Produzent*innen in diesem Bereich letztlich doch so engstirnig sind.

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich in der Auswahl für eine Rolle als Staatsanwalt war, eine Rolle in einer Krimireihe. Der Redakteur sagte bei den Besetzungsgesprächen: „Deutschland ist noch nicht soweit“, obwohl ich Favorit für die Rolle war. Die Rolle hat dann ein weißer Deutscher bekommen. Der Redakteur hat den Zuschauer*innen unterstellt, dass sie keine Schwarzen sehen wollen. Das ist jahrelang der Fall gewesen, und ist es teilweise immer noch so.

Wie lässt sich eine heterogene Bevölkerung so konsequent ausblenden?

Ich bin der Meinung, dass sich das Fernsehen der eigenen bildenden Funktion nicht bewusst ist. Film und Fernsehen haben die unglaubliche Chance die Wahrnehmung dessen, was als „normal“ empfunden wird, zu verändern. Indem sie Geschichten erzählen, in denen Menschen wie ich als Gärtner, Apotheker, Richter, Versicherungskaufmann oder Lehrer vorkommen. Das heißt, in stinknormalen deutschen Berufen, so wie es ja längst Realität ist – nur das Fernsehen hinkt weiterhin hinterher. Wenn das Fernsehen diesen Bildungsauftrag ernst genommen hätte, würde unsereiner nicht länger im Supermarkt mit Anmerkungen wie „Sie sprechen aber gut deutsch“ belästigt werden. Menschen, die nicht wissen, dass es auch Leute wie mich gibt: dunkelhäutige Mitbürger mit rheinländischem Dialekt.

Und der Zustand auf deutschen Theaterbühnen, findest du den schlimmer oder besser?

Ich habe über Jahre hinweg das Treiben im Theaterbereich beobachtet. Seit 2002 bin ich im Beruf. Ich habe so viele Gespräche und Begegnungen mit Regisseur*innen und Intendant*innen geführt. Immer hieß es: „Es gibt keine Rollen für sie“ oder „Wir können nicht nur Migrantenstücke machen“ oder „Ist sehr schwierig mit ihrem Typ“. Selbst in Ensembles mit 40 Leuten gab es keine einzige Person of Color. Eine osteuropäische Schauspielerin war das Maximum. Das hat sich seit Anfang 2013 wirklich gebessert. Vor kurzem war es noch undenkbar, dass eine Schwarze Person im Stadttheater oder Staatstheater fest im Ensemble engagiert wird. Unter der neuen Leitung am Staatstheater München sind gleich mehrere nicht-weiße Schauspielerinnen fest im Ensemble. In Bochum ist es ähnlich. Da ist das Ensemble sehr heterogen. Es scheint möglich zu sein, dass wir miteinander spielen, anstatt gegeneinander.

Das zeigt doch ziemlich eindeutig, dass die Verantwortung sehr stark in den Händen der leitenden Positionen liegt, oder?

Definitiv. Aber ich kenne auch einen Fall, bei dem die Theaterleitung nichts tun konnte. An einem kleinen Theater in Gera hat ein Kollege den „Hauptmann von Köpenick“ gespielt und wurde in der Stadt angefeindet. So stark, dass er es nicht mehr ertragen konnte, dort zu leben. Und dass obwohl er eine Festanstellung hatte. Das lag nicht am Theater, sondern an der Stadtgesellschaft und den Zuschauer*innen, die ihn teilweise ausgebuht haben. Und die sagen dann auch offen: Das wollen wir nicht sehen. Oder eher: Die wollen wir nicht sehen.

Wenn man solche Berichte hört, scheint man darin bestätigt zu werden, dass Rassismus immerzu von Menschen ausgeht, die bewusst feindliche Einstellungen pflegen. Im Umkehrschluss sehen Kulturschaffende, die sich als offen und demokratisch verstehen, oft nicht, dass auch sie rassistische Ausschlüsse reproduzieren.

Ich finde es falsch, wenn rassistische Erfahrungen beschwichtigt werden. Wir müssen Verletzungen von Menschen respektieren. Als das Gorki Theater anlief, haben mir weiße Kolleg*innen gesagt, dass sie sich da ausgeschlossen fühlten, diskriminiert. Da wurde mir klar, dass sie so etwas zum ersten Mal in ihrem Leben erleben, während unsereiner das jahrelang an allen Häusern mitbekommen hatte: Nicht zum Vorsprechen eingeladen zu werden, nur weil wir so aussehen, wie wir aussehen. Theaterhäuser wie das Gorki, die überdurchschnittlich viele People of Color engagieren, haben dazu beigetragen, diese Privilegierung zu unterbrechen. Und das kommt den bislang Marginalisierten unmittelbar zugute.

Gibt es ähnliche Unterfangen auch im Filmbereich?

Nicht direkt. Aber es gibt durchaus Unternehmungen in diese Richtung. Ein weiterer Kollege, Tyron Ricketts, hat seine TV-Produktionsfirma „Panthertainment“ wieder ins Leben gerufen, die den Fokus auf die Geschichten von People of Color richtet. Tyron Ricketts möchte Diversifizierung von Geschichten vorantreiben und damit das eurozentristische Narrativ, das in der deutschen Filmindustrie vorherrscht, erweitern. Und das finde ich sehr gut. Wir müssen selbst unsere Strukturen schaffen, denn es wird kein anderer für uns tun. Mit dem Maxim Gorki Theater unter Shermin Langhoff und Jens Hillje haben wir gesehen, dass diese Form der Emanzipation sehr gut funktioniert und auch nachhaltig ist, weil Strukturen geschaffen werden, in denen Geschichten mit Selbstverständlichkeit von weißen und nicht-weißen Menschen, viele von ihnen mit sichtbarer Migrationsgeschichte geschrieben, inszeniert und gespielt werden. Diese Pionierarbeit ist in allen Bereichen wegweisend.

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