„Wir sind nicht dein nächstes Kunstprojekt“

01.04.2016

Foto: Steve Johnson/Unsplash

Tania Canas, Arts Director der australischen Organisation RISE, hat eine Zehn-Punkte-Liste für KünstlerInnen verfasst, die Projekte mit Geflüchteten machen möchten.

Der Ausgangspunkt dieser Liste war laut Canas eine große Anzahl von KünstlerInnen, die auf der Suche nach TeilnehmerInnen für ihre Projekte auf die Organisation zugekommen seien. RISE ist die erste Organisation von Geflüchteten, Überlebenden, Asylsuchenden und ehemals Festgehaltenen in Australien, die sich um deren Belange kümmert.

Canas beschreibt, wie KünstlerInnen „die menschliche Seite der Geschichte“ hervorheben wollten, oftmals aber ein begrenztes Verständnis ihrer eigenen Objektivität, Voreingenommenheit und Privilegien gezeigt hätten. Hier geht es zum Original-Beitrag. Wir haben Tania Canas' Empfehlungen an Künstlerinnen und Künstler übersetzt:

1. Prozess, nicht Produkt. Wir sind keine Ressource, die sich in dein nächstes Projekt einspeisen lässt. Du magst in Deiner speziellen Kunst talentiert sein, aber glaube nicht, dass dies automatisch zu einem ethischen, verantwortungsvollen und selbstbestimmten Prozess führt. Beschäftige Dich mit der Entwicklungsdynamik von Gruppen, aber bedenke auch, dass dies keine absolut belastbare Methode ist. Wem und welchen Institutionen nützt dieser Austausch?

2. Hinterfrage deine Absichten kritisch. Unser Kampf ist keine Chance für dich als KünstlerIn, und unsere Körper sind keine Währung, mit der du deine Karriere befördern kannst. Statt dich nur auf das „Andere“ zu konzentrieren („wo finde ich Geflüchtete“...usw.), unterziehe deine eigenen Absichten einer kritischen, reflexiven Analyse. Was ist deine Motivation, zu diesem bestimmten Thema zu arbeiten? Und warum gerade jetzt?

3. Sei dir deiner eigenen Privilegien bewusst. Wo bist du voreingenommen, und welche Absichten, selbst wenn du sie für „gut“ hältst, hegst du? Welche soziale Position (und Macht) bringst du ein? Sei dir bewusst, wie viel Raum du einnimmst. Mach dir klar, wann du einen Schritt zurück treten musst.

4. Teilhabe ist nicht immer fortschrittlich oder bestärkend. Dein Projekt mag Elemente von Partizipation haben, aber sei dir bewusst, dass dies auch einschränkend, alibi-mäßig und herablassend wirken kann. Deine Forderung an die Community, ihre Geschichten zu teilen, könnte uns auch schwächen. Welche Rahmenbedingungen hast du für unsere Partizipation aufgestellt? Welche Machtverhältnisse verstärkst du mit diesen Bedingungen? Welche Beziehungen stellst Du her? (z.B. InformantIn vs. ExpertIn; Botschaft vs. BotschafterIn)

5. Präsentation gegen Repräsentation. Kenne und beachte den Unterschied!

6. Nur weil du das sagst, ist dies kein geschützter Raum. Dazu bedarf es langer Basisarbeit, Solidarität und Hingabe.

7. Erwarte keine Dankbarkeit von uns. Wir sind nicht dein nächstes interessantes Kunstprojekt. Wir sitzen hier nicht rum und warten darauf, dass unser Kampf von deinem persönlichen Bewusstsein anerkannt oder durch deine künstlerische Praxis ins Licht gerückt wird.

8. Reduziere uns nicht auf ein Thema. Wir sind Menschen mit Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten. Wir können über viele Dinge sprechen; reduziere uns nicht auf ein Narrativ.

9. Informiere Dich. Kenne die bereits geleistete Solidaritätsarbeit. Beachte die feinen Unterschiede zwischen Organisationen und Projekten. Nur weil wir mit derselben Gemeinschaft arbeiten, heißt das nicht, dass wir auf dieselbe Art und Weise arbeiten.

10. Kunst ist nicht neutral. Unsere Gemeinschaft wird politisiert, und jedes Kunstwerk, das mit bzw. von uns gemacht wird, ist inhärent politisch. Wenn du mit unserer Gemeinschaft arbeiten willst, musst du dir im Klaren darüber sein, dass deine künstlerische Praxis nicht neutral sein kann.

Übersetzung aus dem Englischen: Wilhelm von Werthern

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  • postmigrantisch