„Zukunftskünste“: Theater als Freiheit

Nominiert für den Sonderpreis für Projekte zur kulturellen Teilhabe geflüchteter Menschen

22.04.2016

Jugendliche bei Auftritt auf Bühne
Die HipHop-Gruppe "ATG" des Vereins Hajusom | Foto: Arnold Morascher

Unter dem Dach des Vereins „Hajusom“ finden Theater-Workshops, Hip-Hop-Seminare und Kochgruppen statt, die minderjährigen Geflüchteten in Hamburg nicht nur ein kreatives Ventil bieten, sondern auch gesellschaftliche Teilhabe.

Von: Kaveh Kooroshy

An den meterdicken, kahlen Betonwänden hängen Schilder, auf denen „Hajusom“ steht, ein Pfeil weist die Richtung. Der Weg führt durch die Windungen der fensterlosen Gänge des Hamburger Flakbunkers am Heiligengeistfeld und endet schließlich an einer Tür mit Klingel. Dahinter verbergen sich die Räume eines einzigartigen Projekts.

Im Internetauftritt des Vereins heißt es: „Seit 1999 ist Hajusom ein Ort in Hamburg, an dem Kunst und Leben zusammenfließen und wo künstlerisches kollektives Schaffen als das Gegenteil von kultureller, religiöser und politischer Dominanz praktiziert wird.“ Daraus entstehen „Theater-Performances, die auf großen Bühnen, meist mit Live Musik, präsentiert werden“ - zum Beispiel in Kooperation mit der renommierten Einrichtung „Kampnagel - Internationales Zentrum für schönere Künste.“

Viele Angebote für Geflüchtete

Neben dem Ensemble Hajusom gibt es das Nachwuchsangebot „Zukunftskünste“, das mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten Theater-, Hip-Hop- und Kochworkshops veranstaltet. Dabei werden die Kinder und Jugendlichen über einen langen Zeitraum hinweg in das Projekt eingebunden, bis sie schließlich selbst als AnsprechparterInnen für andere Geflüchtete wirken können. So geht es den „Zukunftskünsten“ nicht nur um den kreativen Ausdruck der jungen KünstlerInnen, sondern auch um den gegenseitigen Austausch von Perspektiven.

Mit diesem generationsübergreifenden und nachhaltigen Ansatz gehen die Beteiligten eine Kollaboration ein – sowohl bei der Bewältigung von Alltagsaufgaben, als auch bei der Verarbeitung von Fluchterfahrungen. Die Partizipation der Geflüchteten erweitert zudem langfristig das Netzwerk von Hajusom.

Trotz dieses erfolgreichen Konzepts gestaltet sich die Finanzierung der „Zukunftskünste“ regelmäßig prekär: „Wir haben Proberäume, MitarbeiterInnen und einen Büroraum, aber kein Geld. Die Hälfte der Arbeit im Büro geht für die Förderanträge drauf. Und durch die immer begrenzte Finanzierung ist Planung schwierig“, sagt Lea.

Heute steht Theater auf dem Programm, Farsad, Lea und Dino bereiten den Proberaum vor. „Wir glauben, dass die Welt besser wird, wenn wir gemeinsam Kunst machen, anstatt zu fragen ‚Woher kommst Du?’ Deswegen verstehen wir uns auch als ein künstlerisches Projekt und nicht als ein soziales“, erklärt Lea die Grundidee von „Zukunftskünste“.

„Wir sind wie eine Familie“

Nach und nach treffen die anderen zehn KünstlerInnen ein, die heute beim Workshop mitmachen. Er startet mit Aufwärmübungen. Die meisten von ihnen sind gerade erst volljährig geworden und noch nicht lange in Hamburg. Hin und wieder muss Farsad übersetzen - heute ins Persische, manchmal aber auch über Ecken ins Englische, Arabische oder Französische.

Für die Witze dagegen und das Lachen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen braucht niemand eine Übersetzung. Ebrahim, der Schauspieler werden möchte, schätzt gerade diese Atmosphäre: „Seit sechs Monaten komme ich hierher, und inzwischen kenne ich hier viele Leute und kann immer kommen. Wir sind wie eine Familie.“

Im vergangenen Jahr war die KünstlerInnen-Familie allerdings langsamer gewachsen als in den Jahren zuvor – und das, obwohl in den letzten zwölf Monaten viele Menschen nach Deutschland geflohen waren und sich die Arbeit von Hajusom auch bei anderen Hamburger Theatern herumgesprochen hatte: „Auf einmal rief das Stadttheater an und wollte etwas mit uns machen“, berichtet Lea, „wir merken schon, dass wir mehr Anerkennung bekommen haben.“

Dass die Zahl der TeilnehmerInnen trotz dieser wachsenden Aufmerksamkeit und der größer werdenden Zielgruppe zurückging, hatte einen einfachen Grund. Die MitarbeiterInnen in den Jugendwohnheimen und den Erstversorgungseinrichtungen hätten kaum mehr Zeit, den Geflüchteten ihre Arbeit vorzustellen. „Für so ein KünstlerInnen-Projekt, wie wir es betreiben, müssen wir aber werben“, betont Lea.

Kooperationen sind wichtig

Bislang hätten die BetreuerInnen die Jugendlichen zum Verein begleitet, so dass es einfacher gewesen sei, Anschluss zu finden. „Als das ausblieb, haben wir beschlossen, zu den Jugendwohnheimen und zu den Jugendlichen in die Erstversorgungseinrichtungen zu gehen. Jetzt sind wir wieder voll!“, sagt sie. „Hajusom“ kooperiert außerdem mit Flüchtlingsambulanzen, der Uni-Klinik Eppendorf, der Therapieeinrichtung Haveno, Jugendämtern und anderen Trägern.

Nach den lockeren Aufwärmübungen wird es ernst. Farsad kündigt an: „Für die Neuen wird das jetzt schwierig. Wir machen zuerst den Schwarm, so wie Fische im Wasser oder Vögel.“ Die KünstlerInnen stellen sich eng nebeneinander auf und orientieren sich an dem, der vorne steht und die Bewegungen vorgibt. Dabei dreht sich die Gruppe um ihre eigene Achse, so dass immer jemand anderes nach vorne rückt und vortanzt. Kein Kichern und kein Lachen sind mehr zu hören, als die gerade noch witzelnden Jugendlichen mit höchster Konzentration die Tanzbewegungen der anderen nachahmen.

Die Körper verdichten sich zu einem Schwarm, zu einer Einheit mit einer eigenen Gruppendynamik, bei der jeder mal führt und geführt wird. Lea und Farsad, die gemeinsam den Workshop leiten, klatschen in die Hände und rufen laut „sehr gut“, wenn die Jugendlichen besonders fließend und synchron die Drehungen vollziehen. Die Performance soll später aufgeführt werden, gemeinsam mit Texten, die die jungen KünstlerInnen geschrieben haben.

Neue Ausdrucksformen finden

„Fußballspielen ist Freiheit für mich. Wenn ich Fußball spiele, löst das in mir das schönste Gefühl aus“, hat etwa Farhad getextet. Seine Erfahrungen finden sich auch in seinen Tänzen wieder: Seine Bewegungen erinnern an die eines Torwarts. So finden die jungen Menschen bei Hajusom einen Raum, mit experimentellem Sprach- und Körpereinsatz neue Ausdrucksformen zu entwickeln und sich mit ihren Erfahrungen darzustellen - jenseits von Zuschreibungen und Erwartungen anderer.

Bei jedem der KünstlerInnen kommt dabei etwas anderes heraus. Faridath denkt zum Beispiel beim Thema Freiheit an Nelson Mandela und den Erfolg am Ende des Weges, den der Freiheitskämpfer seinerzeit errang: „Ein unschuldiger Mann geht für über zwanzig Jahre ins Gefängnis und er hat es geschafft, Präsident zu werden. Das ist großartig!“

Ihr Weg hat Faridath zu Hajusom geführt und auch sie scheint hier etwas Freiheit gefunden zu haben: „Mein erstes Jahr in Deutschland war sehr schwierig, weil ich niemandem vertraut habe. Hier ist es aber anders, hier ist es wie eine zweite Familie und wenn ich hier bin, vergesse ich den Stress.“ Für ein paar Stunden gelingt bei Hajusom mit Kunst die Normalität: Theater statt flüchten.

Das Nachwuchsprogramm „ZUKUNFTS_KÜNSTE“ des Vereins Hajusom ist eines von zehn nominierten Projekten im Rahmen des Sonderpreises zur kulturellen Teilhabe geflüchteter Menschen. Der Preis wird zum Auftakt von „Kultur öffnet Welten“ am 21. Mai 2016 im Deutschen Historischen Museum vergeben.

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