Gegen Demografiestress: Modelle für Kultur im Wandel

28.02.2017

Kasten, innerhalb des Kastens Schild mit Aufschrift "Postkasten - Ihre Frage"
Ein Blick in den "Postkasten" des Theater Lindenhof - ein Projekt im Rahmen von TRAFO | Foto: Theater Lindenhof

Dörfer und Gemeinden schrumpfen - TRAFO stößt Veränderungsprozesse in Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen an.

Von: Kristin Bäßler

Will man wissen, wie ein kleines Theater im ländlichen Raum funktioniert, dann sollte man nach Melchingen fahren. Melchingen hat etwas über 900 EinwohnerInnen und liegt 70 Kilometer entfernt von Stuttgart. Mittendrin in diesem kleinen Ort auf der Schwäbischen Alb steht das Theater Lindenhof. Vor 35 Jahren von einer SchülerInnengruppe gegründet, die einfach Theater machen wollte, strahlt es weit über Melchingen hinaus. Das liegt nicht nur an den zahlreichen Gastspielen, sondern auch an der Haltung, mit der dieses Theater die BewohnerInnen der Schwäbischen Alb und ihre Geschichten mitnimmt.

Das Theater Lindenhof denkt Theater nicht als einen Ort, an dem sechs Tage die Woche verschiedene Stücke gespielt werden, sondern organisiert Theaterexperimentierclubs, Kinoabende oder initiiert Erzählcafés, gibt Gelbe Säcke und Wanderkarten aus und öffnet seine Garderobe jeden Dienstag für einen Friseur aus Tübingen.

Modelle mit den Menschen vor Ort

Seit Jahren befassen sich viele Landkreise und Kommunen mit der Frage, wie dem Schrumpfen von Dörfern und Gemeinden angesichts des demografischen Wandels begegnet werden kann. Allerdings geht es dabei nicht nur um Fragen des öffentlichen Nahverkehrs oder die Gewährleistung medizinischer Versorgung. Als freiwillige Aufgabe der Gemeinden stehen häufig Kultureinrichtungen wie Theater, Museen, Bibliotheken oder Kulturzentren besonders unter Druck.

Raum mit Bergarbeiter-Werkzeugen, Helmen
Der Knesebeckschacht in Bad Grund. Das TRAFO-Projekt „Harz|Museen|Welterbe“ widmet sich den vielfältigen Spuren des Bergbaus im westlichen Harz. | Foto: Tim Schenkl/TRAFO

Die Kulturstiftung des Bundes hat bereits in vielen Programmen Kulturinstitutionen ermuntert, sich im Sinne einer Weiterentwicklung zu verändern. Mit dem Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ werden nun gezielt Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen und kleineren Gemeinden gefördert, die sich zum Ziel gesetzt haben, ihr Angebot auf zukunftssichere Beine zu stellen und dabei neue Formate zu entwickeln, die gemeinsam mit den Menschen vor Ort initiiert und umgesetzt werden.

In einer einjährigen Entwicklungsphase haben sich im Jahr 2015 Museen, Bibliotheken, Kulturzentren, Theater und Musikschulen in vier ländlichen Regionen die Frage gestellt: Was brauchen die Menschen in unserer Region? Welche Rolle spielt Kultur in unserer Gesellschaft? Wie müssen wir unsere Angebote verändern, um möglichst viele Menschen zu erreichen? Wie können wir die Angebote in der Region miteinander verzahnen, und welche Allianzen müssen wir zwischen Kultur, Politik und Verwaltung bilden?

Aus dieser Auseinandersetzung wurden sechs sehr unterschiedliche Transformationsprojekte entwickelt, die TRAFO bis 2020 in vier Modellregionen fördert: im Oderbruch, in Südniedersachsen (Seesen, Oberharz, Osterode), im Saarpfalz-Kreis sowie auf der Schwäbischen Alb. Diese Regionen sehen sich mit einer Reihe tiefgreifender Veränderungen konfrontiert: dem Wegzug jüngerer Generationen, dem wirtschaftlichen Strukturwandel, dem Zusammenlegen von Landkreisen, dem Sterben von Vereinen oder schlicht dem Leerstand, der neu bespielt werden will.

Werkstätten ländlicher Kultur

Wenn über den ländlichen Raum gesprochen wird, dann reichen die Bilder von der Idylle bis zur abgehängten Provinz, aus der die Menschen wegziehen, wo Busse nur noch selten fahren und Läden aus Altersgründen schließen. Dass der ländliche Raum aber viel mehr als diese Stereotype zu bieten hat, das zeigen die an TRAFO beteiligten Kultureinrichtungen wie eben das Theater Lindenhof oder das Museum Altranft im Oderbruch: „Wir geben uns […] nicht damit zufrieden, unseren ländlichen Raum, das brandenburgische Oderbruch an der deutsch-polnischen Grenze, als strukturschwach oder demografisch gestresst zu bezeichnen“, so die Projektleiter aus Altranft.

Ihr Museum, das 2015 kurz vor der Schließung stand, öffnet sich im Rahmen seines Transformationsprozesses nun stärker für die Themen der Region, für die Geschichten der BewohnerInnen, die Traditionen des Handwerks und wird so zu einer Werkstatt ländlicher Kultur. Es werden nicht nur Ausstellungen über das Oderbruch gezeigt, sondern auch Theaterstücke aufgeführt und Debatten zur Zukunft der Region geführt. „Gemeinhin zeigen Agrar- und Heimatmuseen die Vergangenheit des Landlebens. In Altranft soll dieser Blick in den Rückspiegel der regionalen Fortbewegung dienen“, sagen Kenneth Anders und Lars Fischer, die die Transformation des Museums Altranft verantworten.

Veränderung geht nicht von jetzt auf gleich

Dass solche Transformationsprozesse auch Herausforderungen in sich bergen, ist klar. Gewachsene Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen verändern und schon gar nicht allein. Kultureinrichtungen sind Bestandteile des öffentlichen Lebens und brauchen daher den Rückhalt sowohl der Politik als auch der Bevölkerung. Die Stadt Seesen, Träger des Projektes „Jacobson-Haus“, lädt daher die Seesener in einer Reihe öffentlicher Workshops ein, ihre Ideen, Bedarfe und Interessen für die Zukunft des Jacobson-Hauses einzubringen. Ihr Ziel ist es, ein multifunktionales Kulturzentrum für alle zu etablieren: wo der Blasmusikverein genauso einen Platz findet wie das Kulturbüro, die Stadtbibliothek oder der Jugendfreizeitclub.

Treppenhaus
Das Jacobson-Haus im niedersächsischen Seesen. Es soll im Rahmen von TRAFO zu einem multikulturellen Zentrum entwickelt werden. | Foto: Tim Schenkl/TRAFO

Solche Aushandlungsprozesse können auch Unsicherheiten erzeugen. Denn nicht alles, was seit Jahrzehnten gefördert und umgesetzt wird, ist zukunftsfähig. Transformation ist daher immer auch mit dem Loslassen von Altbekanntem und dem Zulassen von Veränderung verbunden. Solche Brüche bergen aber auch die Möglichkeit einer produktiven Neupositionierung. Bei TRAFO geht es daher auch um den Anstoß zu einer Debatte darüber, welche Rolle Kultur und Kultureinrichtungen in ländlichen Regionen grundsätzlich spielen können, welchen Beitrag sie zur Weiterentwicklung ihrer Regionen leisten können und welche neuen, anderen Perspektiven durch sie für die Region ermöglicht werden. Diese Fragen werden im Rahmen des Programms von LandrätInnen und BürgermeisterInnen, von den KulturakteurInnen und -vereinen und von Bund- und LändervertreterInnen verhandelt.

Zurück zum Bespiel Theater Lindenhof. Hier zeigt sich, welche Aufgaben ein Theater im ländlichen Raum übernehmen kann und wie sich Ressourcen klug bündeln lassen. Aber dem Theater Lindenhof geht es um mehr, um den Kontakt zu den Menschen und ihren Geschichten. Dafür braucht es diese Orte, an denen die Menschen zusammenkommen und ihre Geschichten erzählen.

Mehr Infos: TRAFO steht für Transformation: TRAFO unterstützt Kultureinrichtungen außerhalb von Metropolen dabei, sich weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu werden. Das Programm TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes, fördert in den Jahren 2016 bis 2020 sechs TRAFO-Projekte in vier Modellregionen: im Oderbruch, in Südniedersachsen, im Saarpfalz-Kreis und auf der Schwäbischen Alb. Die dort bestehenden Theater und Museen, Bibliotheken, Musikschulen und Volkshochschulen zeigen, welche Potenziale in der Veränderung liegen. In enger Kooperation mit den Akteuren vor Ort werden Antworten entwickelt, wie ein attraktives Kulturangebot im ländlichen Raum in Zukunft aussehen und organisiert werden kann. Mit kooperativen Ansätzen entwickeln sie Modelle, wie die lokalen und regionalen Kultureinrichtungen zu zeitgemäßen, spannenden Lern- und Kulturorten werden. Mehr Informationen unter: www.trafo-programm.de

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