„Deutschland muss aufwachen!“

30.05.2018

Proträtbild von drei Frauen in Kostümen
Gehorsam, aufopfernd und still. Das Klischeebild „einer Asiatin“. | Foto © Moo Sang Kim

Anfang Mai präsentierte Olivia Hyunsin Kim in den Sophiensaelen in Berlin ihre Performance „Miss Yellow And Me – I Wanna Be A Musical“. Das Stück konfrontiert exotisierende Klischees der asiatischen Frau* und fordert dazu auf, eigene Stereotype zu hinterfragen. Im Interview spricht Olivia Hyunsin Kim über asiatisch-deutsche Repräsentation, den Blick auf „das Fremde“ und Diversifizierung im Kulturbetrieb.

Von: Thao Nguyen

Wovon handelt „Miss Yellow And Me – I Wanna Be A Musical“?

Das Stück nimmt das erfolgreiche Musical „Miss Saigon“ von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg als Ausgangspunkt, das u. a. am Broadway zu sehen war. Trotz der jahrelangen Proteste der Asian-American Community gegen dieses Musical wurde es jedes Mal noch spektakulärer aufgeführt. „Miss Saigon“ folgt einem alten Narrativ: Ein weißer Mann geht nach Asien in ein exotisches Land, trifft dort eine asiatische Jungfrau und nimmt sie zur Frau. Er schwängert sie, danach verlässt er sie. Sie kann ihn aber nicht vergessen, am Ende gibt sie ihm ihren Sohn und begeht Selbstmord. Alle asiatischen Männer, die vorkommen, sind böse, heimtückisch und egoistisch. Der weiße Mann ist ein Held oder ein armer Mann, mit dem die Zuschauer*in Mitleid bekommen soll, denn er konnte ja nicht anders. Zum Erbe von Miss Saigon gehört auch Yellowfacing, pseudovietnamesische Texte, die Verwendung rassistischer Begriffe wie „Slits“ – was sich zum Glück nach den Protesten aber verändert hat. Zugleich ist „Miss Saigon“die einzige Plattform, wo Asiat*innen eine Hauptrolle spielen können.

Mittlerweile gibt es endlich einen Diskurs um Blackfacing, aber warum bleiben Yellowfacing, die Schlitzaugengeste oder „Ching Chang Chong“-Sprüche okay oder werden ignoriert? Woher kommen diese Stereotype über die unschuldige asiatische Jungfrau oder den bösen, unansehnlichen asiatischen Mann? All das hat mich dazu bewegt, meine Performance voranzutreiben. Wir haben bewusst das Format Musical gewählt. Denn einst war es ein Do-It-Yourself-Kunstgenre der Arbeiterklasse und eine Stimme der Minderheiten. Mittlerweile hat sich jedoch der subversive Charakter von Musicals ins Gegenteil verkehrt: Das Musical wurde zum leicht konsumierbaren, aber teuren Entertainment, das Klischees reproduziert und sogar verbreitet, siehe Produktionen wie „Aladdin“, „König der Löwen“ oder eben „Miss Saigon“. Meine Performance will in ihrer Low-Budget- und DIY-Ästhetik an die frühen Versionen der Musicals anknüpfen und dessen Potenzial wiederbeleben. Einen Raum der Reflexion des eigenen Blicks erschaffen.

Inwiefern versuchst du, dich mit deiner Inszenierung gegen die stereotype Darstellung asiatischer Frauen wie in „Miss Saigon“ zu wehren?

Lange Zeit habe ich tatsächlich versucht, mich gegen die Klischeebilder einer „Asiatin“ zu wehren: gehorsam, aufopfernd, still – oder besser stumm – und zugleich sexy gegenüber weißen Männern zu agieren. Ich habe versucht, ein distanziertes Gegenbild zu schaffen. Parodie war ein gutes Mittel dafür. Mit Parodie konnte ich die Stereotype problematisieren, ich dachte, ich mache damit klar, dass ich mich mit diesen Bildern nicht identifiziere und sie gar zerstöre. In manchen Performances mag es geklappt haben, jedoch ist die Realität, wie ich mich selbst sehe und gesehen werde, sehr anders.

Nicht nur im Alltag, auch in der liberalen geltenden, zeitgenössischen Tanz- und Performanceszene gab es oft die Erwartung von Kurator*innen und Institutionen, dass ich international und exotisch für sie sein soll, kurz, dass ich eine „traditionelle“ asiatische Tanzperformance aufführen soll. Das kann ich nicht. Als Choreografin mit meinem Aussehen wurde das aber als „problematisch“ wahrgenommen. Ich wurde dann beispielsweise von Festivals oder Kurator*innen wieder ausgeladen und kritisiert, dass ich nicht genug auf „mein Blut gehört hätte“. Traurig aber wahr.

Ich hatte dann so einen Aha-Moment, wo ich dachte, all die Parodie hat vielleicht gar nicht das bewirkt, was ich erhofft hatte. Ich merkte, wie ich den Status quo aufrechterhalte, selbst wenn ich mich bewusst vom herrschenden Stereotyp der asiatischen Frau zu distanzieren versuchte. Denn eine Negation von etwas bedeutet ja immer noch, dass dieses etwas anscheinend existiert und ich vielleicht nur ein Gegenbild entwerfen will, um mich abzugrenzen. Außerdem fand ich, dieses Antibild kreiert eine Hierarchie zwischen mir und den Leuten, die vielleicht beim ersten Blick an diese Klischees erinnern. Das wollte ich nicht. Deswegen habe ich mich gefragt, ob es nicht andere Strategien, gibt als die der Parodie. Ich habe mich daher entschieden, mich in diese Stereotypen hineinzubegeben und sie von innen zu empowern. Geht das überhaupt? Was passiert dann? Ich wollte dadurch den Blick der Zuschauer*in dekonstruieren, in dem sie*er selbst durch ihre*seine eigene Wahrnehmung Klischees in ihr*ihm hinterfragt.

Nicht nur vor den Kulissen herrscht eine misslungene Repräsentation, auch hinter den Kulissen sind wenige asiatisch-deutsche Künstler*innen vertreten. Kannst du etwas zur gegenwärtigen Situation von asiatischen Künstler*innen im deutschen Kulturbetrieb sagen?

Auf jeden Fall! Es war schwierig, „Miss Yellow And Me – I Wanna Be A Musical“ zu finanzieren. Die (Migrations-)Geschichten von Asiat*innen werden oft nicht ernstgenommen, viele Leute in der Jury, Journalist*innen, Kurator*innen sehen keine Wichtigkeit im Thema. Eine heterogene Migrationsgeschichte interessiert sie nicht. Ich orte einen „Minderheitentrend“ im Kulturbetrieb, der sehr problematisch ist. Minderheiten werden auch oft gegeneinander ausgespielt. Wenn es auf einem Festival schon eine afro-deutsche Position gibt, kann es halt keine asiatisch-deutsche geben, das wäre zu viel.

Lieber haben es auch internationale Institutionen oder Festivals, jemanden zu haben, die*der keine Probleme in der deutschen Gesellschaft anspricht und es dem Publikum unbequem macht. Dann werde ich auch mit einer*einem asiatischen Choreograf*in aus Asien ausgetauscht – denn zwei Asiat*innen auf einem Festival sind wiederum zu viel. Es gibt ein Unwissen der Leute hinter den Kulissen, das wiederum zu einem Problem vor den Kulissen führt.

Was müsste kulturpolitisch erreicht werden, um Zugangsbarrieren für nicht-weiße Künstler*innen zu brechen?

Exklusion beginnt schon von früh. Wenn ich wegen meiner Klassenzugehörigkeit oder meiner nicht-deutschen Herkunft keinen Zugang bekomme, funktioniert auch keine Diversifizierung. Es fängt schon bei den Bildungsinstitutionen an. Was für ein Bild entsteht, wenn man bei jeder Audition mit allen deutschen PoCs in eine Gruppe gesteckt wird? Wenn kommentiert wird, dass mir die „deutsche Tiefe“ fehlt? Und dann wird gesagt, es gäbe keine Asiat*in für diese und jene Rolle und wir konnten halt nicht anders als Yellowfacing zu betreiben.

Deutschland muss einfach mal aufwachen. Es gab und gibt Migrant*innen, Leute mit Behinderung und queere Menschen. Doch die Theaterbühnen, besonders die Stadttheaterbühnen, zeigen ein Bild von der deutschen Gesellschaft als rein weiß, able-bodied und heterosexuell. Ich denke, es sollten vielleicht kulturpolitische Maßnahmen wie etwa eine Quote gesetzt werden. Ich habe gemischte Gefühle, was eine Quote angeht, doch letztens las ich, das weiße, heterosexuelle, able-bodied Männer jahrhundertelang eine Quote von hundert Prozent hatten. Warum dann nicht eine Quote für Minderheiten, wenn sich seit Jahrzehnten kaum etwas ändert?

Das Interview erschien zuerst im Missy Magazin.

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