„Im Osten nichts Neues...?“

Rückblick auf KIWit-Fachbegegnung „Im Osten nichts Neues...? Gesellschaftspolitische Dimensionen Kultureller Bildung“ am 24. September 2018 in Leipzig

Menschen bei einem Vortrag
Foto: Maren Strehlau

Welche Bedeutung haben die unterschiedlichen politischen und kulturellen Entwicklungslinien in Ost- und Westdeutschland für die Kulturelle Bildung? Dieser Kernfrage ging die KIWit-Fachbegegnung "Im Osten nichts Neues...? Gesellschaftspolitische Dimensionen Kultureller Bildung in Ost- und Westdeutschland" des netzwerk junge ohren in Kooperation mit dem Landesverband Soziokultur e.V. und der Kulturpolitischen Gesellschaft Regionalgruppe Sachsen auf den Grund.

In ihrem Grußwort betonte Dr. Skadi Jennicke, Bürgermeisterin und Beauftragte für Kultur der Stadt Leipzig, nicht nur die Bedeutung der Kulturellen Bildung für gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch die Notwendigkeit historische Linien in Ost- und Westdeutschland differenziert zu betrachten. Es dürfe nicht vergessen werden, „dass ein Großteil der Deutschen in einem geteilten Land sozialisiert wurde und dass es nach wie vor strukturelle Unterschiede zwischen neuen und alten Bundesländern gibt."

In einem Dialog aus Ost- und Westperspektive stellten die Referent*innen Dr. Birgit Wolf (Kulturermöglicherin) aus Berlin und Prof. Dr. Susanne Keuchel (Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW) aus Remscheid, die historischen Hintergründe für die Unterschiede im Bereich der Kulturellen Bildung vor.

Birgit Wolf, selbst in der DDR groß geworden, berichtete von den umfassenden Förderstrukturen für die Kunst- und Kulturszene in der DDR, die für die sozialistische Ideologie instrumentalisiert wurden. Sie wies aber auch darauf hin, dass ein Großteil der kulturellen Infrastrukturen und damit auch Strukturen der Kulturellen Bildung nach 1989 wegbrachen. Sie betonte: „Es sind Generationen, die Verlierer wurden.“

Prof. Dr. Susanne Keuchel, zeichnete in ihrem Vortrag die Werteforschung seit den 1950er Jahren nach, die bestimmend für die Entwicklung der Kulturellen Bildung im Westen Deutschlands war. Sie schlussfolgerte, dass es in dem Diskurs um Werte in der Kulturellen Bildung wichtig sei, in komplexen Zusammenhängen zu denken. Denn: Komplexität ermöglicht Perspektivwechsel, die in unserer diversen Gesellschaft eine große Rolle spielen.

Eine praxisorientierte Sicht, ebenfalls im Dialog zwischen Ost- und Westperspektive, lieferten die Referenten Torsten Wiegel (Soziokulturelles Zentrum „Steinhaus") aus Bautzen und Alexander Netschajew (ehemaliger Intendant des Theater Altmark Stendal).

Torsten Wiegel hob positiv hervor, dass es in Sachsen eine dichte kulturelle Infrastruktur und ein umfassendes Angebot in der Jugend- und Sozialarbeit wie auch Demokratieförderung gäbe, obwohl oft das Gegenteil angenommen würde. Aus seiner Sicht gibt es Grenzen für die Wirksamkeit Kultureller Bildung. Integration kann in sozialer und kultureller Hinsicht durch Kulturarbeit geleistet werden, die funktionale Integration können aber von Kulturakteur*innen nicht gewährleistet werden.

Alexander Netschajew berichtete von seinen Erfahrungen nach seinem Wechsel vom Stadttheater Landsberg in Bayern zum Theater der Altmark in Stendal, wo er sich mit anderen Herausforderungen konfrontiert sah, als im Südwesten Deutschlands. Im Gegensatz zu seiner vorherigen Tätigkeit in Bayern erlebte er dort in erster Linie Ängste um die Existenz des Kulturbetriebs. Deshalb sah er es als seine wichtigste Aufgabe an, diese Ängste und Haltungen zunächst zu verstehen, um den Theaterbetrieb für die Stadt und die Region im nächsten Schritt weiterentwickeln zu können.

Im Anschluss äußerte sich Franz Knoppe, Projektleiter bei ASA-FF e.V., zum Thema „Kultur als Schlüssel zu demokratischem Bewusstsein“. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kultureller und politischer Bildung. Dabei sucht er in seiner Arbeit nach neuen Narrativen und Sichtweisen auf politische Phänomene. Er betonte in seinem Vortrag die vielen Potenziale, die nicht ausgeschöpft würden, vor allem was die Verwertung von Ressourcen betrifft. Im Bereich der qualitativen politischen und Kulturellen Bildung sieht er eine große Chance im bundesländerübergreifenden Erfahrungsaustausch zwischen den Akteur*innen aus der kulturellen und politischen Bildung, der stärker gefördert werden sollte.

Abschließend tauschten sich das Publikum und die Referent*innen aus. Im Kern ging es dabei um die Herausforderung, konstruktiv mit antidemokratischen Stimmen umzugehen und um die Frage was politische und/oder Kulturelle Bildung in diesem Zusammenhang leisten kann und wo die Schnittmengen sind. Ein abschließendes Fazit zogen Alexander Netschajew und Franz Knoppe in der Podiumsdiskussion: Beide Disziplinen haben ihre Grenzen hinsichtlich ihrer Vermittlungskompetenzen und des Know-Hows. In der Kooperation zwischen beiden Disziplinen liege das große Potenzial. Dieses entfalte sich aber nicht selbstläufig, sondern erfordere die strategische Bündelung der jeweiligen Kompetenzen und Wissensstände.